Autor: niclas-toelle

  • Das Industriemagazin Reutlingen

    Das Industriemagazin Reutlingen

    Das Industriemagazin Reutlingen ist eine Außenstelle der Historischen Museen Reutlingen und befindet sich in den alten Montagehallen der ehemaligen Metalltuch- und Maschinenfabrik Christian Wandel in der Eberhardstraße 14. Es beherbergt eine Sammlung historischer Maschinen und Exponate aus der Blütezeit von Maschinenbau und Textilindustrie in Reutlingen, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Stadt geprägt haben.

    Die Eröffnung des Industriemagazins erfolgte im Jahr 1993, initiiert durch eine wachsende Sammlung zur Industriegeschichte im Heimatmuseum sowie großzügige Stiftungen lokaler Unternehmer. Von Anfang an begleitete der Förderverein Industriemuseum Reutlingen e.V. die Einrichtung des Magazins mit dem Ziel, ein industriegeschichtliches Museum zu errichten. Trotz des provisorischen Status – untergebracht im denkmalgeschützten Industriebau – wurde das Industriemagazin allerdings nicht zu einem eigenständigen Museum ausgebaut, unter anderem aufgrund begrenzter städtischer Mittel.

    Über die Jahre hinweg scheiterten mehrere konkrete Ansätze ein Museum zu realisieren. Die Unterbringung in der historischen Feuerwache im Ledergraben wurde zu Gunsten eines anderen Nutzungskonzeptes verworfen, das vielversprechende Ergebnis eines groß angelegten Architektenwettberwerbs für einen Neubau wurde aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie im Jahr 2020 mit der Begründung einer finanziellen Notlage der Stadt nicht weiter verfolgt. Der Förderverein Industriemuseum stand daraufhin kurz vor der Aufgabe, bis sich im Jahr 2025 ein neues Vorstandsteam bereit erklärte, die Ziele des Vereins unter einer langfristig angelegten Strategie weiter zu verfolgen.

    Dazu gehört unter anderem die fortlaufende Förderung des Betriebs des Industriemagazins in seinem derzeitigen Zustand. Besucher können hier nun bereits seit Jahrzehnten historische Maschinen wie Webstühle, Drahtflechtmaschinen oder eine Dampfmaschine der Firma Kohllöffel begutachten – Letztere zählt zu den ältesten noch erhaltenen Exemplaren Süddeutschlands. Die Maschinen werden teilweise funktionsfähig präsentiert und erläutert – so etwa beim „Tag der offenen Tür“ oder den regelmäßig stattfindenden Führungsterminen.

    Besonderer Fokus liegt auf der Industrialisierung und der lokalen Industriegeschichte: So dokumentiert das Magazin die Maschinenfertigung in Reutlinger Betrieben seit dem 19. Jahrhundert und die Entwicklung der lokalen Textilindustrie. Seit 2007 tragen ehrenamtliche Zeitzeugen durch Vorführungen und anschauliche Vermittlung wesentlich zur lebendigen Erlebbarkeit dieser Vergangenheit bei.

    Die Öffnungszeiten sind begrenzt: Das Industriemagazin ist jeden zweiten Samstag im Monat von 14:00 bis 17:00 Uhr geöffnet; der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich. Besuche an anderen Terminen sind nach Vereinbarung möglich. Für Schulklassen und Auszubildende bietet die IHK Reutlingen kostenlose Führungen an (gesetzlicher Umfang: Kosten 55 €, die durch die IHK übernommen werden).

  • Wer sind die ehrenamtlichen Zeitzeugen?

    Wer sind die ehrenamtlichen Zeitzeugen?

    Im Industriemagazin Reutlingen arbeiten ehrenamtliche Zeitzeugen an den historischen Maschinen und führen diese der Öffentlichkeit im Schaubetrieb vor. Aber was bedeutet das und wer sind diese Leute?

    Üblicherweise werden Objekte in Museen nicht einfach nur ausgestellt, sondern auch für die Nachwelt bewahrt. Was sich nach simpler Lagerung anhört, ist tatsächlich oft ein enormer Aufwand für professionelle Restauratoren, deren Aufgabe darin besteht, historische Objekte möglichst im Originalzustand für eine unbestimmte Zukunft zu erhalten. Bilder dürfen nicht verbleichen, Textilien müssen vor Schädlingen bewahrt werden und selbst massive Gegenstände müssen unter besonderen klimatischen Bedingungen aufbewahrt werden um sie dauerhaft vor Materialveränderungen zu bewahren.

    Doch was, wenn man Objekte wie Maschinen im laufenden Betrieb präsentieren möchte? In industriegeschichtlichen Museen wie dem Industriemagazin läuft der Museumsalltag etwas anders ab. Hier geht es darum, Funktionsweisen von industriellen Anlagen zu vermitteln und das geht am besten, indem man diese vorführt. Museumsfachleute stellt das vor eine Herausforderung. Zum Einen müssen Abstriche beim Anspruch auf dauerhafte Konservierung in Kauf genommen werden, denn Maschinenteile nutzen sich ab und Ersatzteile müssen nachgekauft oder sogar neu angefertigt werden. Zum Anderen sind für den Betrieb und den Erhalt technische Kenntnisse erforderlich, die nicht zum Repertoire der Kulturwissenschaftler gehören.

    Hier kommen die ehrenamtlichen Mitarbeiter ins Spiel. Im Reutlinger Industriemagazin erklärte sich 2007 eine Gruppe von Pensionären bereit, sich in ihrer Freizeit um die Maschinen zu kümmern. Ihre Qualifikation dafür hatten sie in Reutlinger Firmen erworben, wo sie teilweise an den Maschinen gearbeitet hatten, die sie nun für die Nachwelt erhalten wollten. Schnell stellte sich heraus, dass diese ehemaligen Fabrikarbeiter, Ingenieure und Handwerker mehr als nur technisches Wissen aus ihrer Zeit in Reutlinger Betrieben mitbrachten. Ihre Geschichten aus dem Alltag einer hochindustrialisierten Großstadt, die wir heute nur noch aus alten Postkarten von Reutlingen kennen, ergänzten den technischen Schaubetrieb der Maschinen um menschliche Lebensgeschichten, um Schicksale und Leidenschaft für den Beruf. Ein großer Teil der Faszination, den die Maschinen im Industriemagazin ausstrahlen, entsteht durch diese Verknüpfung mit der Geschichte von industrieller Arbeit und der Entwicklung unserer städtischen Gesellschaft. Die ehrenamtlichen Helfer waren selbst Teil dieser Geschichte, die sie als Zeitzeugen dem interessierten Publikum oft authentischer vermitteln können als professionelle Mitarbeitende des Museums.

    So prägte sich im Laufe der Zeit die Bezeichnung der „ehrenamtlichen Zeitzeugen“, ein Begriff, der kaum den unschätzbaren Wert wiedergeben kann, den diese fleißigen Helfer seit knapp zwanzig Jahren für das Reutlinger Industriemagazin haben. Doch leider kann nicht ignoriert werden, dass es sich bei den ehrenamtlichen Helfern nicht um Objekte handelt, die für viele Jahrzehnte aufbewahrt werden können. Menschen altern und sie verlassen uns, und mit ihnen gehen die Geschichten verloren, die niemals in Büchern niedergeschrieben wurden. Das Reutlinger Heimatmuseum konnte einen Teil dieser Geschichten durch Filmaufnahmen archivieren, doch die besondere Aura der persönlichen Begegnung mit begeisterten Maschinenmeistern kann durch technische Mittel nicht ersetzt werden.

    Gleichzeitig sind im Laufe der Zeit andere, jüngere ehrenamtliche Unterstützer zur Gruppe gestoßen. Über die Generationen hinweg verbindet sie die Leidenschaft für den Erhalt des historischen industriellen Erbes der Stadt. Sie erzählen ihre eigenen Geschichten aus anderen Zeiten, die von anderen Herausforderungen und anderen Konflikten geprägt waren. Der Verlust der Zeitzeugen aus der einen Epoche wird durch neue Zeitzeugen aus der anderen Epoche ausgeglichen. In gewisser Weise repräsentiert das Reutlinger Industriemagazin so einen Kernbestandteil der Geschichte der industriellen Entwicklung. Alles verändert sich. Wieso nicht auch das Museum?