Ehrenamtliche Mitarbeiter bei der Arbeit im Industriemagazin Reutlingen.
Ehrenamtliche Mitarbeiter bei der Arbeit im Industriemagazin Reutlingen. © Förderverein Industriemuseim Reutlingen, Foto: Boris Niclas-Tölle

Wer sind die ehrenamtlichen Zeitzeugen?

Im Industriemagazin Reutlingen arbeiten ehrenamtliche Zeitzeugen an den historischen Maschinen und führen diese der Öffentlichkeit im Schaubetrieb vor. Aber was bedeutet das und wer sind diese Leute?

Üblicherweise werden Objekte in Museen nicht einfach nur ausgestellt, sondern auch für die Nachwelt bewahrt. Was sich nach simpler Lagerung anhört, ist tatsächlich oft ein enormer Aufwand für professionelle Restauratoren, deren Aufgabe darin besteht, historische Objekte möglichst im Originalzustand für eine unbestimmte Zukunft zu erhalten. Bilder dürfen nicht verbleichen, Textilien müssen vor Schädlingen bewahrt werden und selbst massive Gegenstände müssen unter besonderen klimatischen Bedingungen aufbewahrt werden um sie dauerhaft vor Materialveränderungen zu bewahren.

Doch was, wenn man Objekte wie Maschinen im laufenden Betrieb präsentieren möchte? In industriegeschichtlichen Museen wie dem Industriemagazin läuft der Museumsalltag etwas anders ab. Hier geht es darum, Funktionsweisen von industriellen Anlagen zu vermitteln und das geht am besten, indem man diese vorführt. Museumsfachleute stellt das vor eine Herausforderung. Zum Einen müssen Abstriche beim Anspruch auf dauerhafte Konservierung in Kauf genommen werden, denn Maschinenteile nutzen sich ab und Ersatzteile müssen nachgekauft oder sogar neu angefertigt werden. Zum Anderen sind für den Betrieb und den Erhalt technische Kenntnisse erforderlich, die nicht zum Repertoire der Kulturwissenschaftler gehören.

Hier kommen die ehrenamtlichen Mitarbeiter ins Spiel. Im Reutlinger Industriemagazin erklärte sich 2007 eine Gruppe von Pensionären bereit, sich in ihrer Freizeit um die Maschinen zu kümmern. Ihre Qualifikation dafür hatten sie in Reutlinger Firmen erworben, wo sie teilweise an den Maschinen gearbeitet hatten, die sie nun für die Nachwelt erhalten wollten. Schnell stellte sich heraus, dass diese ehemaligen Fabrikarbeiter, Ingenieure und Handwerker mehr als nur technisches Wissen aus ihrer Zeit in Reutlinger Betrieben mitbrachten. Ihre Geschichten aus dem Alltag einer hochindustrialisierten Großstadt, die wir heute nur noch aus alten Postkarten von Reutlingen kennen, ergänzten den technischen Schaubetrieb der Maschinen um menschliche Lebensgeschichten, um Schicksale und Leidenschaft für den Beruf. Ein großer Teil der Faszination, den die Maschinen im Industriemagazin ausstrahlen, entsteht durch diese Verknüpfung mit der Geschichte von industrieller Arbeit und der Entwicklung unserer städtischen Gesellschaft. Die ehrenamtlichen Helfer waren selbst Teil dieser Geschichte, die sie als Zeitzeugen dem interessierten Publikum oft authentischer vermitteln können als professionelle Mitarbeitende des Museums.

So prägte sich im Laufe der Zeit die Bezeichnung der „ehrenamtlichen Zeitzeugen“, ein Begriff, der kaum den unschätzbaren Wert wiedergeben kann, den diese fleißigen Helfer seit knapp zwanzig Jahren für das Reutlinger Industriemagazin haben. Doch leider kann nicht ignoriert werden, dass es sich bei den ehrenamtlichen Helfern nicht um Objekte handelt, die für viele Jahrzehnte aufbewahrt werden können. Menschen altern und sie verlassen uns, und mit ihnen gehen die Geschichten verloren, die niemals in Büchern niedergeschrieben wurden. Das Reutlinger Heimatmuseum konnte einen Teil dieser Geschichten durch Filmaufnahmen archivieren, doch die besondere Aura der persönlichen Begegnung mit begeisterten Maschinenmeistern kann durch technische Mittel nicht ersetzt werden.

Gleichzeitig sind im Laufe der Zeit andere, jüngere ehrenamtliche Unterstützer zur Gruppe gestoßen. Über die Generationen hinweg verbindet sie die Leidenschaft für den Erhalt des historischen industriellen Erbes der Stadt. Sie erzählen ihre eigenen Geschichten aus anderen Zeiten, die von anderen Herausforderungen und anderen Konflikten geprägt waren. Der Verlust der Zeitzeugen aus der einen Epoche wird durch neue Zeitzeugen aus der anderen Epoche ausgeglichen. In gewisser Weise repräsentiert das Reutlinger Industriemagazin so einen Kernbestandteil der Geschichte der industriellen Entwicklung. Alles verändert sich. Wieso nicht auch das Museum?